Diagnose Krebs

oder

wie alles begann


von 1990 bis 1991



Auf der Hochzeitsreise im Frühjahr 1990, die nach Thailand ging, bekam ich die ersten unregelmäßigen Regelblutungen. Ich war vorher im Januar 1990 zur Krebsvorsorge gegangen , daher dachte ich auch an nichts "Böses". Ich schob alles auf die mächtigen Aufregungen der Hochzeit und das fremde Klima während der Reise. Erst als meine Schwester im Mai des Jahres 1990 heiratete und meine Regelblutungen immer noch unregelmäßig waren, dachte ich daran, den Frauenarzt doch noch einmal aufzusuchen. Also besorgte ich mir einen Termin. Ich war erleichtert, als der Arzt mir Hormonstörungen bescheinigte und mir eine neue Antibabypille verschrieb. Es konnte ja auch nichts ernstes sein, da ich meine Krebsvorsorge ja immer regelmäßig machte. Dachte ich! Die Blutungen hörten aber nicht auf, so dass mir der Arzt im Laufe des Jahres noch drei verschiedene Hormonpräparate verschrieb. Schließlich wollten wir zum damaligen Zeitpunkt noch keine Kinder. Im Dezember 1990 bekam ich dann einen so starken Blutsturz, dass mein damaliger Frauenarzt sofort eine Ausschabung anordnete. Den Befund „Krebs“ teilte man mir erst im Januar 1991 mit. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass ich meinen "Krebs" seit 1990 oder noch länger mit mir herumschleppte. Es war niederschmetternd, als ich von meinem Frauenarzt die Wahrheit erfuhr. Diese Diagnose zog mich wie ein Sog tief hinab in einen dunklen und grausamen Schlund. Es war wie ein Film der an mir vorbeizog. Ich sah Bruchstücke meines Lebens an mir vorbei fliegen. Es war fürchterlich und grausam. Als ich mit meinem Koffer in die Klinik einzog, war ich auf einmal allein. Mein Mann konnte aus beruflichen Gründen bis zu der Operation nicht bei mir sein. Er war eine ganze Woche bei einem Weiterbildungslehrgang und das war natürlich wichtiger als ich es war. Ich muss ehrlicher Weise zugestehen, dass ich die treibende Kraft war, die ihn veranlasste, nicht bei mir zu sein. Ich sagte immer nur: "Du bist jetzt wichtiger" "alles andere geht vor", "ich bin ja nicht so wichtig", "das ist doch eine Kleinigkeit", "mal eben operieren lassen", "das geht doch vorbei", "das ist doch nicht so schlimm". Doch es war anders als ich dachte, in mir brach eine Welt zusammen. Ich war mit allem überfordert. Ein Gefühl der Trauer, Wut, Verzweiflung und ein – warum ich Gefühl? - überkam mich. Von meiner Familie wurde ich nach meinem Dafürhalten auch nicht richtig unterstützt. Sie konnten die Lage sicherlich auch nicht ernst genug einschätzen. Ich war bis zu meiner Operation allein im Krankenhaus. Ich musste die Behandlungen, die Gespräche und all das Grübeln ganz allein bewältigen. Das war für mich einfach zu viel. Die Ärzte hatten auf der einen Seite den pathologischen Befund, der eindeutig bösartige Zellen aufwies, aber auf der anderen Seite konnte man keinen klinischen Befund sehen. Ganz klar, man sah keinen Tumor. Die Ärzte waren ratlos. Mir war so, als ob ich ein wissenschaftliches Rätsel wäre. Man entschied sich zu einer weiteren Ausschabung, da man vermutete, dass der pathologische Befund im Labor vertauscht worden war. Am Tag des Eingriffs machte man den letzten Ultraschall, und endlich sah man den Tumor. Er wuchs um und in die Gebärmutter, daher konnte man den Tumor nicht eindeutig erkennen. Die Gebärmutter war nur etwas vergrößert. Wieder neue Überlegungen der Ärzteschaft. Endlich, nach Tagen der Vorbereitung, entschied man sich zur Entfernung des Tumors mit Erhaltung der Gebärmutter. Die Ärzte waren sehr bemüht, es mir so schonend wie möglich beizubringen. Es handelte sich um ein Leiomyosarkom. Das ist ein Weichteilkrebs. In meinem Fall ein Bindegewebekrebs, sehr böse, aber in der Regel langsam wachsend. Die Operation dauerte ca. fünf Stunden. Erst im Aufwachraum sah ich erstmals meinen Mann und meine Mutter wieder. Ich war glücklich, die Operation hinter mich gebracht zu haben. Auf einem Vier-Bett Zimmer sollte ich dann wieder genesen. Es ging mir nicht besonders gut und die Schwestern bemühten sich nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Als Kassenpatient war ich sowieso nur Patient 3. Klasse. Die Infusionen, die Schläuche aus Bauch und Scheide taten weh und behinderten mich. Meine Bauchnarbe ging jetzt von der Scheide bis zum Bauchnabel, so ca. 15 cm. Ich war nicht gerade erfreut und eigentlich noch zu jung für Krebs! Ein paar Tage nach der Operation teilte man mir mit, dass mein Krebs doch sehr bösartig sei und stellte mich vor die Wahl: Entweder direkt radikale Entfernung der Gebärmutter oder erst mal versuchen ein Baby zu bekommen und bei der Geburt die Gebärmutter entfernen. Nun sollte ich eine Entscheidung treffen. Mein Mann und ich, wir konnten erst mal keinen klaren Gedanken fassen. Wir waren zu betroffen. Letztendlich entschieden wir uns zur radikalen Entfernung der Gebärmutter. Mit der Entfernung begrub ich nun unwiderruflich meinen Kinderwunsch. Nach ca. dreieinhalb Wochen wurde ich dann aus dem Krankenhaus entlassen. Länger hätte ich es in diesem elenden Vier-Bett Zimmer bei den unfreundlichen Schwestern nicht mehr ausgehalten. Es war eine harte Zeit für mich und unsere Ehe. Ich hatte es noch nicht begriffen, was es heißt, Krebs zu haben und meine Familie auch nicht. Meine Familie ist der Ansicht, dass sie alles richtig gemacht hat. Deswegen verurteilen sie meinen Weg in die Öffentlichkeit. Aber darauf kann und will ich keine Rücksicht nehmen, da ich das Geschehene so und nur so erlebt und empfunden habe. Ich würde mir wünschen, dass sie mein handeln akzeptierten ohne mir böse zu sein! Ich schüttelte alles ab, meine Gedanken, meine Ängste, meine Sorgen, meine Trauer und meine Wut. Aufgrund der Situation bekam ich im Laufe des Jahres starke Neurodermitis an den Händen und meine Narbe wollte einfach nicht zu heilen. Erst acht Monate später heilte meine Narbe zu. Meine äußerlichen Narben waren jetzt zwar so einigermaßen verheilt, aber was war mit den innerlichen Narben? Körperlich ging es mir bald wieder recht gut aber seelisch befand ich mich in einem Nebel oder Vakuum. Ich ging ca. vier Wochen nach den zwei schweren Operationen wieder arbeiten. Ich bürdete mir sogar noch einen Nebenjob auf, in der Hoffnung endlich zu vergessen. Mein Mann unterstützte mich wo es nur ging. Endlich hatte er mich für sich nun wirklich allein. Das machte mich eigentlich doch recht glücklich. Heute ist mir klar, wie viel Glück wir gehabt haben, denn wenn mein Ehemann auch so einen großen Kinderwunsch gehabt hätte wie ich, wäre unsere Ehe an diesem Schicksalsschlag zerbrochen.



 

 

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